Behindertenfeindliche Fehlschlüsse und Formulierungen

Dieser Beitrag ist ein Twitter-Thread von Ash als Fließtext


Liebe Leute,
es geht beim Verzicht auf ableistische (=behindertenfeindliche) Formulierungen nicht nur um einzelne Wörter und ihre Geschichte.
Ich versuche, das nochmal in möglichst einfachen Worten zu erklären:

Menschen abzuwerten, die als weniger intelligent gelten, ist immer behindertenfeindlich.
Egal, ob die Menschen, um die es geht, tatsächlich Lernschwierigkeiten haben oder ob sie „norm-intelligent“, „normal klug“, sind.

Der Grund dafür, dass es hierbei oft zu Missverständnissen kommt, sind aus meiner Sicht vor allem zwei ableistische Fehlannahmen.

Die erste Annahme ist: „Ich kann vom Verhalten einer Person Rückschlüsse auf ihre Fähigkeiten ziehen“./ „Nur, wer etwas nicht kann, verhält sich so.“

Es gibt unendlich viele Gründe dafür, dass Menschen auf eine bestimmte Art handeln.
Manche Verhaltensweisen gelten als unnormal, andere als normal.

Als normal gilt zum Beispiel:
Eine Beschäftigung unterbrechen, wenn es an der Tür klingelt.

Dass ein Mensch das nicht tut, heißt aber nicht automatisch, dass er die Klingel nicht hören kann.
Vielleicht hat er nur keine Lust, aufzustehen und ignoriert sie.
Oder er hört die Klingel und würde gern zur Tür gehen, aber kann sich (gerade) nicht selbst bewegen.

„Wer die Tür nicht öffnet, hat die Klingel nicht gehört“ ist also eine sehr oft falsche Schlussfolgerung.
Manchmal sind diese Mutmaßungen nicht so schlimm.Sobald sie zur Auf- oder Abwertung von Menschen herangezogen werden, ändert sich das aber. 

Hier kommt die zweite ableistische Annahme ins Spiel: 
„Bestimmte Fähigkeiten machen Menschen wertvoller.“/
„Wer etwas nicht (verstehen) kann, ist weniger wert.“

Diese Gedanken sind die Grundlage von Ableismus. Wir übersetzen das, weil es einfacher ist, oft als Behindertenfeindlichkeit, aber eigentlich bedeutet es Fähigkeits-ismus, also die Auf- und Abwertung von Menschen anhand der Fähigkeiten, die wir ihnen (nicht) zuschreiben.

Jede Form von Ableismus und auch seine eugenischen Auswüchse basieren auf diesen Grundannahmen und sie finden sich überall wieder.
(Eugenisch = Ziele oder Gedanken im Zusammenhang mit Eugenik.
Eugenik = „Erbgesundheitslehre“. Die Idee, dass der Gen-Pool der Menschheit verbessert werden kann und sollte.)

Jedes Mal, wenn eine Person als „dumm“, „blöd“, „idiotisch“ und mit anderen ähnlichen Wörtern bezeichnet wird, weil sie etwas Unerwünschtes tut, werden diese Annahmen neu verstärkt und verbreitet.

Während des Nationalsozialismus wurden mehrere hunderttausend Menschen aufgrund dieses Menschenbildes vergast. 
Wenn ihr „Schwachsinn“ oder „Idiotie“ auf icd-10.de eingebt, landet ihr auch heute noch bei den entsprechenden Diagnose-Codes. Diese Wörter waren nämlich lange die medizinischen Begriffe für das, was jetzt „Intelligenzminderung“ heißt.

Es schadet aber auch ganz ohne die Geschichte hinter diesen Wörtern behinderten und/oder chronisch kranken Menschen, wenn (angebliche) fehlende Fähigkeiten als Abwertungs“grund“ verwendet werden.
Und es wirkt sich auf uns alle aus.

Das zeigt sich zur Zeit auch in den Diskussionen darüber, welche Leben gerettet werden sollten und welche vielleicht doch nicht so wichtig sind. Wisst ihr, dass zu Beginn der Pandemie, als so gut wie alles dicht gemacht wurde, die Behindertenwerkstätten weiter geöffnet waren?

Bekommt ihr mit, dass in großen Zeitungen, Interviews und Talkshows wieder ganz offen über wertvollere und weniger wertvolle Leben gesprochen und geschrieben wird? Wir bekommen es mit.

Menschen abzuwerten, die ihr für „unfähig“, für „zu dumm“, für „abnormal“, für „hirnrissig“ haltet, schadet nicht denen, die ihr kritisieren wollt. Die unterrichten oft an Unis, sitzen in Parlamenten, haben angesehene Berufe. Sie profitieren meistens von Ableismus.

Es schadet uns. Es schadet den „Krüppeln“, den „Invaliden“, den „Schwachsinnigen“, den „Downies“.
Und es kann lebensgefährlich für uns werden.



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