Offener Brief an den rbb/radioeins


An die Intendantin des rbb, Patricia Schlesinger,
und alle weiteren Verantwortlichen beim rbb und bei radioeins,

die menschenfeindlichen Äußerungen von Florian Schroeder und Serdar Somuncu in der Folge „Dichtmachen, Streitkultur, Scheindebatten und Beleidigtsein“ ihres Podcasts „Schroeder & Somuncu“ vom 27.04.2021 lassen uns entnervt und verärgert zurück.

Bereits zum ersten Thema im Podcast, der Impfreihenfolge, witzelt Schroeder, dass er als „systemrelevanter Komiker eigentlich sofort geimpft werden [möchte]“ und nicht verstehe, warum 500 Leute vor ihm auf der „riesige[n] Warteliste“ seien. (00:00:56-00:01:10)
Das #Impfdesaster auf diese Weise zu kommentieren, ist geschmack- und pietätlos. 

Wir, vorwiegend Personen aus Risikogruppen, haben uns seit 14 Monaten weitgehend isoliert. Das mussten wir tun, um uns selbst zu schützen, weil Gesellschaft und Politik sich nicht darauf verständigen konnten, es zu tun. Wir sind vorsätzlich vergessen worden. Viele Behindertenwerkstätten und Förderschulen blieben geöffnet, als im März 2020 andere Schulen und Betriebe geschlossen wurden.
Viele von uns müssen sich die FFP2- oder FFP3-Masken im wahrsten Sinne des Wortes vom Mund absparen, da eine Erhöhung der Sozialleistungen – trotz Pandemie – nicht vorgesehen war. Viele Informationen sind nicht barrierefrei zur Verfügung gestellt worden und auch bei der Impfreihenfolge wurden unsere Bedürfnisse nicht mitbedacht. [1]

Die Abschaffung der Priorisierung sorgt nun für einen verschärften Wettbewerb um Impfplätze in bester sozialdarwinistischer und eugenischer Manier, indem wir mit „Gesunden“ um Impftermine konkurrieren müssen. In Nordrhein-Westfalen wurde gerade die Öffnung der Priorisierungsgruppe 3 für bestimmte Berufsgruppen beschlossen, wodurch weitere Vorerkrankte nach hinten rutschen. Eine Impfung der Kinder vorerkrankter Alleinerziehender wird nicht einmal diskutiert. Marginalisierte Menschen werden hier mutwillig geopfert. 
Seit über einem Jahr wird gesagt, das Leben müsse weitergehen und seit über einem Jahr wird zunehmend offener gesagt, man müsse sich einfach damit abfinden, dass Menschen sterben. Wir nehmen das zur Kenntnis und wir wissen, dass mit dem zweiten Teil wir gemeint sind und mit dem ersten Teil das Leben der anderen. 
Es wird wieder öffentlich von wertvollerem und weniger wertvollem Leben gesprochen. [2]
Offen sozialdarwinistische und eugenische Aussagen fanden sich Mitte letzten Jahres auch bei prominenten Vertretern wie Boris Palmer und nun bei den Teilnehmenden der Aktion #AllesDichtmachen. Diese Aktion wollen Schroeder und Somuncu aus einer „übergeordneten“ Position thematisieren und der Frage nachgehen, wie man das Geschehene „analytisch betrachtet auflösen“ könne.

Im Laufe des Podcasts spricht Somuncu immer wieder von  „(Kultur-)Faschismus“, bezeichnet die Diskussion zu #AllesDichtmachen als „nicht lösungsorientiert“  – ohne selbst zu konkretisieren – und verweist auf „autoritäre Denkstrukturen“ als „Vorstufe einer Denkweise, die wir schon aus ganz anderen Zeiten kennen“. (00:15:22-00:15:28)
Auch Schroeder lamentiert, der Begriff des Zynismus werde inflationär gebraucht, schließlich könne er gar nicht so genau wissen, ob die an der Aktion beteiligten Schauspieler*innen „alle genau wussten, was sie da taten“ (00:18:38) und ob man den Begriff des Zynismus nicht „für wirklich zynische Momente“ aufheben solle. (00:18:48)

Die Kritik an #AllesDichtmachen als „Kulturfaschismus“ und „autoritäre Denkstrukturen“, als „die Vorstufe einer Denkweise“ zu bezeichnen, „die wir schon aus ganz anderen Zeiten kennen“ und dabei auf den Nationalsozialismus anzuspielen, verharmlost nicht nur den geschichtlichen, sondern auch den gegenwärtig wiedererstarkenden deutschen Nationalismus und Faschismus.

Dieses Land und diese Gesellschaft haben eine eugenische Tradition, die Somuncu mitbedient, die darin besteht, über alte, kranke, arme und andere marginalisierte Personen hinwegzugehen. Und Schroeder beschreibt ein ebenso altbekanntes Phänomen, wenn er die Mitwirkenden bei #AllesDichtmachen damit entschuldigt, dass sie wahrscheinlich nicht „alle genau wussten, was sie da taten“. Im Hinblick darauf, dass die Köpfe hinter der Aktion allesamt eng mit der sogenannten Querdenker-Bewegung verwoben sind [3], erscheint das doch eher Wunschdenken zu sein. Man kennt es schon: Die Deutschen waren alle im Widerstand oder haben „von nichts gewusst“. 

Videos wie das Katharina Schlothauers, in welchem sie Luftnot nachahmt und das mit den Worten „Atmen Sie nur Ihre eigene Luft – und wenn die alle ist, bestellen Sie sich welche auf Amazon“ endet, sprechen für sich selbst. 
Es mag sein, dass nicht alle der beteiligten Personen sich rechten oder verschwörungstheoretischen Strömungen zugehörig fühlen. An der Wirkung ihrer Aussagen auf Menschen, die wissen, wie sich Erstickungsanfälle anfühlen oder anhören, ändert das nichts. Auch nicht daran, dass „Querdenker“ sich von derartigen Videos in ihrer menschenfeindlichen Geisteshaltung bestätigt sehen.

Anstatt das anzuerkennen, bemängelt Somuncu „sich unversöhnlich gegenüber stehende Lager“ und betont, es sei zu berücksichtigen, dass es bei der Aktion „auch gute Clips“ gebe. Seine subjektive Einordnung in „gut“ und „schlecht“ scheint Teil seiner vermeintlich „objektiven Position“ zu sein – ein inhärenter Widerspruch.
Darüber hinaus hat die Geschichte deutlich gezeigt, dass eine unversöhnliche Haltung bereits gegenüber den Anfängen des Faschismus notwendig ist – Somuncu sieht selbigen aber offensichtlich in der Kritik an der Aktion.

Spätestens, als Schroeder und Somuncu voller Häme auf den Tweet einer chronisch kranken Frau reagieren, die darin Angst vor zunehmenden rechten gesellschaftlichen Strömungen äußert, dürfte den meisten Zuhörer*innen klar sein, dass von einer „sachlichen Analyse“ nicht die Rede sein kann. (Ab 01:07:15) 

Somuncu und Schroeder tun einmal mehr, was sie anderen vorwerfen: Sie pachten die Deutungshoheit über eine Situation für sich, sie ziehen ins Lächerliche, sie erheben sich als vermeintlich übergeordnete objektive Instanz über andere, agieren dabei allerdings auf einer höchst persönlichen und hochemotionalen Ebene. 

Sie glauben, überall Faschismus und faschistoide Züge zu erkennen, haben in Bezug auf das Thema aber anscheinend größere Bildungslücken. Es sterben gerade die Armen, die sogenannten Vorerkrankten, die Marginalisierten. Kein Faschismus hat sich je für diese Menschen eingesetzt.
Im Gegenteil: Diese ganz anderen Zeiten, die Somuncu da beschwört, sind die einzigen, die den Aufbau von Vernichtungslagern mitten im Land gesehen haben. Vernichtungslager, in denen hunderttausende Menschen ermordet wurden –  Menschen, über die sich Schroeder und Somuncu so gerne amüsieren. Menschen, die zum Beispiel jüdisch, Sinti*zze oder Rom*nja, behindert, kurz „lebensunwert“, waren. 
Menschen, deren Sicherheit durch aktuelle faschistische Strömungen, Gruppierungen und Aktionen zunehmend gefährdet ist und noch nie gewährleistet war.

Schroeder fabuliert von einer angeblichen Verbotskultur unter dem Motto: „Du sollst so nich sprechen, du sollst diese Worte nicht sagen.“ (00:57:43) und argumentiert, dass nicht Verbote geboten seien, sondern vielmehr „ein Appell an die Selbstverantwortung der Menschen […] sich im richtigen Moment auch zu schützen, zu wissen: Ich habe ein gewisses Alter oder ich habe gewisse Vorerkrankungen, bin noch nich geimpft, ich bin besonders vulnerabel, also lasse ich mich darauf ein.“ (Bis 00:58:48). Somuncu stimmt zu.

Bereits kurz nach Beginn der Pandemie wurde deutlich, dass ein Teil der Covid-19-Infektionen asymptomatisch verläuft. Hat Schroeder das nicht mitbekommen oder ignoriert er es absichtlich, wenn er von „Selbstverantwortung“ spricht?

Chronisch kranke und/oder behinderte Menschen waren schon vor März 2020 von vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Es offenbart eine zutiefst ableistische, kranken- und behindertenfeindliche Haltung, zu erwarten, dass Menschen aus Risikogruppen sich „eigenverantwortlich“ dauerhaft isolieren, während die anderen leben, als befänden wir uns nicht inmitten einer Pandemie.

Somuncu findet:  „Wir können nicht auf Dauer davon ausgehen, dass der Staat uns davor schützt, krank zu werden.“ (00:56:08-00:56:14)

Insbesondere diejenigen von uns, die prekär leben, diejenigen, die obdachlos sind, diejenigen, die bespuckt [4] oder als Reaktion auf einen Hinweis auf die Maskenpflicht verprügelt wurden [5], diejenigen, die zusätzlich zu Ableismus noch antisemitische und/oder rassistische Übergriffe erleben müssen, konnten sich darauf noch nie verlassen.

Menschen, die von anti-asiatischem Rassismus betroffen sind, sammeln unter https://www.ichbinkeinvirus.org/ Übergriffe, die sie seit Beginn der Pandemie vermehrt erleben mussten. Sie schreiben davon, dass Fremde sie nicht nur verbal, sondern in vielen Fällen auch körperlich angreifen, sie schreiben von Morddrohungen.
Es ist noch kein Jahr her, dass Mohamed Idrissi, ein schwerbehinderter Mann of Color, dessen psychische Erkrankung der Polizei bekannt war, erst von Polizist*innen zum Verlassen seiner Wohnung genötigt, dann von ihnen erschossen, gefesselt und in seiner Blutlache liegen gelassen wurde. [6] 
Es ist gerade einmal zwei Monate her, dass Qosay Khalaf in Polizeigewahrsam starb, nachdem ihm medizinische Hilfe verweigert wurde. [7]  

Wen inkludiert also das „Wir“, das sich bisher auf Schutz durch den Staat verlassen konnte?
Menschen aus marginalisierten Gruppen eher nicht.

Es ist außerdem hinreichend bekannt, dass eine Steigerung von Kontakten zu höheren Infektionszahlen und einem höheren Risiko von Mutationen führt, gegen die die aktuellen Impfstoffe weniger wirksam sind.
Nicht zu vergessen ist auch der hohe Anteil an Menschen, die nach einer – auch mild verlaufenden – Infektion unter postviralen Symptomkomplexen leiden, derzeit häufig unter dem Sammelbegriff „LongCovid“ referenziert. Im Extremfall führt das zur neuroimmunologischen Multisystemerkrankung ME/CFS. Und es kann alle treffen; auch jene, die nah am idealistischen Körperstandard sind: jung, gesund, sportlich.

„Eigenverantwortung“ anzuführen ist zudem reiner Hohn in Anbetracht der Tatsache, dass auch wir als chronisch kranke und/oder behinderte Menschen das Haus verlassen müssen. Enger Kontakt, etwa mit medizinisch-therapeutischem Personal, ist für viele von uns unvermeidlich.

Das sind keine Geheimnisse, sondern Dinge, die Behindertenverbände seit der ersten Diskussion über Lockerungen im letzten Jahr öffentlich thematisieren [8]. 
Nach der „Great Barrington Declaration“ wurden diese Zusammenhänge erneut in größerem Rahmen diskutiert und analysiert, zum Beispiel durch Mathias Tertilt für Quarks [9].

Diese Informationen sind frei zugänglich und Schroeder und Somuncu könnten sich vor ihren Äußerungen damit auseinandersetzen.
Anstatt das zu tun, „erklärt“ uns Somuncu aber, dass die Intensivstationen gar nicht nur mit Covid-Patient*innen belegt seien.

Seit Monaten kommen Hilferufe aus der Pflege und von Intensivmediziner*innen. Es wird erklärt und beschrieben und um Rücksicht gebeten und Somuncu will weiter über die Anzahl von Betten sprechen. Dabei ist längst klar, dass die Bettenanzahl nicht der entscheidende Faktor ist, weil die medizinische Betreuung Covid-19-Erkrankter aufwändiger ist als die vieler anderer Menschen, die intensivmedizinische Behandlung benötigen. [10] Währenddessen werden mehr oder weniger offensichtlich Triage-Richtlinien eingeführt, damit Pflegekräfte und Ärzt*innen zwischen Hippokratischem Eid und eigenen, durch Ableismus gefärbten, Entscheidungen über Leben und Tod irgendwie weiter funktionieren können. Alles, damit am Ende sichergestellt ist, dass gesellschaftlich akzeptiertere Körper eher überleben.

Wir wissen, dass in Heimen versteckte Triage passiert und dass zwei Drittel der Corona-Erkrankten vor ihrem Tod gar nicht erst auf die Intensivstation gekommen sind. [11]

Wir beobachten, wie sich die Debatte immer weiter weg vom Schutz der Risikogruppen hin zu Argumentationen wie der von Schroeder entwickelt: Leute sollen einfach selbst dafür verantwortlich sein, nicht krank zu werden.

Oder, wie Schroeder auch sagt: „Das private Befinden zum Ausgang eines Arguments zu machen ist anti-aufklärerisch. Wenn ich sage: Nur, weil ich in dieser Situation bin, habe ich diese und jene Ängste – das ist kein Argument. Das, das ist wirklich ’n Totschlag-Argument.“ (01:08:04-01:08:13)

Schroeder scheint vergessen zu haben, dass er selbst 11 Minuten zuvor noch sehr ausführlich über den „nich groß genug einschätzbar[en] Psycho-Stress“ gesprochen hatte, dem Menschen ausgesetzt seien, die gerade eine Fortbildung im Home Office machen und die gleichzeitig noch ihre Kinder betreuen müssen (00:49:25-00:50:34).

Und auch Somuncu, der keine 15 Minuten vorher noch behauptete, es ginge ihm um einen „konstruktiven, um solidarischen, um wohlwollenden Umgang miteinander“ (00:53:40-00:53:55), um Rücksicht auch auf „die Leute, die jetzt depressiv sind, die Angststörungen haben“ (00:51:15–00:51:28), kann seine Häme, sein bitterböses Lachen nicht einmal lange genug zurückhalten, um diesen scheinheiligen Behauptungen zumindest ETWAS mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.

 „Ja, als chronisch Kranker..es ist schlimm, keine Frage, und ähm –  ich, aber das,  das – hach, wie soll ich das sagen, das ist diese..die..das ist die Ebene, die uns, die uns… dieses Privatistische. Ich habe ein Schicksal, ich habe ein Leid im Zentrum unserer Diskussion. Das wird uns, äh, in ganz gefährliche Gefilde, äh, noch führen.“, so Schroeder (01:08:33-01:08:56).

Eine chronisch kranke Person hat einen Tweet geschrieben. Auf ihrer Timeline. Zu ihrer Situation. Sie hat einen Tweet geschrieben, mit dem sie vielen anderen chronisch kranken und/oder behinderten Menschen aus dem Herzen sprach.
Sie hat – ganz im Gegensatz zu Schroeder und Somuncu – nicht behauptet, mit ihrem Tweet einen sachlich-distanzierten Debattenbeitrag zu leisten. Es ist eine sexistische und ableistische Unverschämtheit, sich als sachlich-objektive Instanz zu inszenieren und dabei über die öffentliche Gefühlsäußerung einer chronisch kranken Frau nicht nur lauthals zu lachen, sondern sie als Wegbereiter „in ganz gefährliche Gefilde“ zu bezeichnen.
Es ist eine unverfrorene Frechheit, chronisch kranke und/oder behinderte Menschen mit pseudo-intellektuellen Argumenten aus dem öffentlichen Diskurs verweisen zu wollen.
 
Wir werden diesen Versuch des Reframings nicht zulassen.
Nothing about us without us.

Schroeder und Somuncu mögen in der glücklichen Position sein, von politischen Entscheidungen so wenig persönlich betroffen und gefährdet zu sein, dass sie „nach ein, zwei Wochen“ wieder vergessen können, was sie auf Twitter bewegt hat (1:01:00-05). 

Dieses Privileg haben wir nicht. 

Unser Leben und unser Sterben sind politisch. Unsere Ängste sind von gesellschaftlichen Strukturen und politischen Entscheidungen geprägt.
Das – während einer Pandemie, wohlgemerkt – als „privatistische persönliche Befindlichkeiten“ abzutun, die keinen Platz in der Debatte haben sollten, ist kranken- und behindertenfeindlich. Es ist niederträchtig.

In Anbetracht von 7,9 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung – das sind 9,5% der Bevölkerung – und 38-43% Bevölkerungsanteil von Menschen mit mindestens einer diagnostizierten chronischen Erkrankung ist es außerdem völlig vermessen.

Es ist niederträchtig, zu behaupten, an einem wohlwollenden Umgang miteinander interessiert zu sein und sich für Rücksichtnahme auf depressive Menschen und Menschen mit Angsterkrankungen auszusprechen und sich kurz darauf derart über die Angst chronisch kranker und/oder behinderter Menschen lustig zu machen.

Es ist niederträchtig, selbst ausführlich vom massiven Psycho-Stress berufstätiger Eltern zu erzählen und kurz darauf die Gefühlsäußerung einer anderen Person zum Thema auf derart heimtückische Art zu reframen.

Es ist niederträchtig, böse – und gleichzeitig banal. Es ist die gleiche bitterböse Banalität, mit der in Bad Oeynhausen behinderte Menschen durch mutmaßlich 145 in einer Einrichtung Beschäftigte verletzt und ihrer Freiheit beraubt wurden [12] und die dazu geführt hat, dass in Potsdam-Babelsberg einen Tag nach der Veröffentlichung der Podcast-Folge, über die wir hier schreiben, vier Personen getötet und eine weitere Person schwer verletzt wurde [13]. 

Es ist die banale Wahrheit, dass behinderte und/oder chronisch kranke Menschen einer alltäglichen Form von Gewalt ausgesetzt sind, die nicht nur als „naturgegeben“ hingenommen wird, sondern sogar damit gerechtfertigt wird.

Behinderte Menschen, die zusätzlich von anderen Formen struktureller Gewalt, wie zum Beispiel Rassismus oder Sexismus, betroffen sind, erleben das ungleich stärker. 

Wie aus einer Befragung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu Gewalterfahrungen von in Einrichtungen lebenden Frauen mit Behinderungen aus dem Jahr 2014 hervorgeht, erlebten 36%, also mehr als ein Drittel der Befragten, sehr schwere körperliche Gewalt wie Verprügeln, Waffengewalt, Würgen und Verbrühen im Erwachsenenleben.

7% der befragten Frauen mit Lernschwierigkeiten und 17% der psychisch kranken Frauen – das ist jede Sechste der Befragten  –  berichten davon, dass sie mindestens ein Mal jemand gewürgt hat oder versucht hat, sie zu ersticken [14].

Nach §3 Abs. 2 des rbb-Staatsvertrags soll der Rundfunk Berlin-Brandenburg „in seinen Angeboten einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, bundesweite sowie länder- und regionenbezogene Geschehen in allen wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen“ geben.
§3 Abs. 4 sieht weiterhin vor, dass „alle gesellschaftlichen Gruppierungen, insbesondere die Anliegen von Menschen mit Behinderungen“ bei der Gestaltung der Angebote des rbb berücksichtigt werden.

Diese Programmgrundsätze sehen wir wiederholt verletzt.​​​​​​​

Es ist eine besondere Pointe, wenn Schroeder es sich verbittet, unsere Ängste als Ausgangspunkt einer Diskussion zu nehmen, da sie ein „Totschlagargument“ seien. 
Er glaubt, er hätte den Überblick; vielleicht, weil sich seine Position an der Spitze eines Privilegienbergs befindet. Schroeder und Somuncu haben klar gemacht, dass sie uns schweigen sehen wollen, dass wir sie nicht interessieren, dass unsere Lebensrealität sie in ihrem Wohlbefinden stört. Wir werden ihnen nicht den Gefallen tun, das schulterzuckend hinzunehmen.

Dieses Mal kann niemand behaupten, man habe von nichts gewusst.


Verfasser*innen:

Ash B., be-hindernisse.org

Fluff, minzgespinst.net

Romy, be-hindernisse.org


(Erst-)Unterzeichnende Betroffene:

Ash B., be-hindernisse.org

Fluff, minzgespinst.net

Romy, be-hindernisse.org

Marvin Gögel

Sehrys Kay​​​​​​​

Valkyria Rogue​​​​​​​

Susanne Vetter​​​​​​​

Jay

Rollifraeulein

Susanne Finsel

Doro Marx

Luisa L’Audace

Jennifer Schild​​​​​​​

Sarah Baumgart

Mika Murstein

Rosen Ferreira

Alexandra Koch

Julia Rott

Anja

ein_fledertier

Alina Eickmanns

Björn Butzen

Birgit Schwäbe

zwergpfirsich

Gianna Brachetti-Truskawa

Alina Buschmann – Dramapproved

Maximiliane Hesselmann

Jasmin Neitzel

Remmy Cat Stock

June Thalia Michael

Rebecca

Luise Schitteck

Kieran Hagedorn

Melanie Eilert – melly_maeh

simo_tier

ka lauer

Sylvia Reichel

Lisa Bader

Nibicah

Rüdiger Sehls

Dr. Christoph Mayer

Minyo



Verbündete Unterstützer*innen:

Frédéric Valin

Anne Wizorek

Victoria Kure-Wu

Rachel Liven

Jorinde Wiese

Sarah Berger

Adente

Noah Müller

Friederike Fiebelkorn

Kit L.

Andreas Czák

Aurin Azadi (Atari-Frosch)

Thea Suh

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Jessica Mroß, MdBVV Tempelhof-Schöneberg

Sebastian Breier

Ena

Anne Büscher

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Yvonne Tang

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Chris_lernt

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Frank Schöneberg

Marco Möller

Noel Möller

Stephan Roch

Mareice Kaiser

Nils Philippsen

Martin Roder

Leo K.

Dr. Lothar Ketterer

Zianor

Thủy-Tiên Nguyễn




Quellen und Belege:

[1] https://www.fr.de/politik/bestimmte-gruppen-wurden-einfach-vergessen-90272605.html
[2] ​https://nzzas.nzz.ch/wissen/peter-singer-leben-retten-kann-nicht-das-einzige-ziel-sein-ld.1601597?reduced=true
[3] https://netzpolitik.org/2021/allesdichtmachen-initiator-volker-bruch-stellte-mitgliedsantrag-bei-querdenker-partei-babylon-berlin/
[4] https://www.express.de/nrw/bochum/behinderte-frau-verpruegelt-angespuckt-und-getreten–jugendliche-rasten-im-ruhrpott-aus-37656900?cb=1619864595554
[5] https://www.zeit.de/news/2021-04/25/maskengegner-schlaegt-auf-supermarkt-kunden-ein
[6] https://taz.de/Ermittlungen-im-Fall-Mohammed-Idrissi/!5770406/
[7] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Tod-nach-Polizeieinsatz-Wie-ein-gesunder-19-Jaehriger-starb,delmenhorst1042.html
[8] https://www.bag-selbsthilfe.de/aktuelles/nachrichten/detail/news/chronisch-kranke-und-behinderte-menschen-in-krisenzeiten-schtzen-nicht-isolieren-und-diskriminieren/
[9]https://www.quarks.de/gesundheit/darum-ist-der-alleinige-schutz-von-risikogruppen-so-schwer/
[10] https://www.kma-online.de/aktuelles/pflege/detail/genug-intensivbetten-aber-zu-wenig-pflegepersonal-a-44188
[11] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/stille-triage-pflegeheime-100.html
[12] https://rp-online.de/nrw/panorama/bad-oeynhausen-145-beschuldigte-im-fall-wittekindshof_aid-55622971#:~:text=Bad%20Oeynhausen%20In%20einem%20Verfahren,Vorw%C3%BCrfe%20lauten%20auch%20auf%20K%C3%B6rperverletzung 
[13] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1151418.thusnelda-von-saldern-haus-vier-tote-in-wohnheim-fuer-behinderte-gefunden.html
[14] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/gewalterfahrungen-von-in-einrichtungen-lebenden-frauen-mit-behinderungen-83144

47 Gedanken zu “Offener Brief an den rbb/radioeins

  1. Jessica Mroß sagt:

    Toller Podcast. Ich würde den Offenen Brief auch gerne mitunterschreiben.

    Jessica Mroß, MdBVV Tempelhof-Schöneberg

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    1. behindernisse sagt:

      Danke für deine Unterstützung! ❤ Wenn du noch dazu schreibst, ob es für dich stimmiger ist bei den Betroffenen oder bei den Verbündeten zu stehen, nehmen wir dich oben mir auf. 🙂

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      1. Rüdiger Sehls sagt:

        Ich habe leider eben erst von diesem öffentlichen Brief erfahren. Als Mensch mit Behinderung wäre es mir eine Ehre gewesen, ebenfalls zu unterzeichnen. Danke für euer Engagement, für die mühselige Arbeit, die ihr macht, und dafür, daß es euch gibt!

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      2. behindernisse sagt:

        Vielen Dank für das Danke und den Unterstützungswunsch. ❤ Du kannst auch jetzt noch unterzeichnen!
        Wenn du dein Okay gibst, nehmen wir dich oben mit in die Liste auf. 🙂

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  2. Frank Schöneberg sagt:

    Starker und bewegender Brief! Danke für die klaren Worte. Dass die zwei dann auch noch zwei (alte) weiße Männer sind, macht’s dann auch nicht besser.
    Nehmt mich gerne unter den Verbündeten mit auf!

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    1. Rüdiger Sehls sagt:

      Selbstverständlich gebe ich mein okay. Leider wird mir hinter wenigen Kommentaren eine Antwortfunktion eingeblendet, sodass ich hier etwas lost antworten muss.
      lg
      Rüdiger

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